Herford-Mitte: „Was? Ein solcher Mann wie sie, ein solcher großer Clavierist will auf einem Instrument spielen, wo keine douceur, kein Expreßion, kein piano, noch forte statt findet, sondern immer gleich fortgehet?“ Die Bemerkung des Augsburger Klavier- und Orgelbauers Johann Andreas Stein (1728-1792) zeigt, dass die Orgel lange als Stiefkind des Klaviers behandelt und in ihrem Potential verkannt wurde. Dass die Orgel aber eben doch die Königin der Instrumente ist, zeigte Sebastian Freitag, Paderborner Domorganist, eindrucksvoll beim Konzert im Rahmen des Herforder Orgelsommers in der Neuapostolischen Kirche Herford-Mitte, Hermannstr. 8.
Hörgenuss der Extraklasse
„Geh‘ aus mein Herz und suche Freud“ – das bekannte Volkslied war die Zugabe nach einem Hörgenuss der Extraklasse. Sebastian Freitag improvisierte nach gut einer Stunde Konzert als Dank für den langanhaltenden Applaus des Publikums und zeigte einmal mehr und über sein intelligent gewähltes Programm hinaus, dass Musik nicht nur Töne sind, sondern Töne durch Musik Kunst werden.
Reger gibt den Rahmen vor
Freitag eröffnete das Konzert, indem er einige persönliche Worte an die zahlreich erschienenen Zuhörer richtete. Er erläuterte, dass die Programmüberschrift „Variationen…“ nicht allein für die Variationen stehe, die im Programm zu finden sind, sondern vor allem für die Variation der verschiedenen Klangfarben der Orgel – die eben mehr kann, als laut und leise, als das bloße Abrufen gespeicherter Register. Das erste Stück, das Sebastian Freitag spielte, war der Choral mit Variationen zu „Heil dir im Siegerkranz“ von Max Reger. Der Text erschien 1793 erstmals unter der Überschrift „Berliner Volksgesang“ in einer Berliner Zeitung. Die Melodie, vielfach als eigene Antwort auf die französische Marseillase bezeichnet, ist als „God save the Queen“ bekannt. Mitnichten ist sie aber eine englische Erfindung. Während der Freiheitskriege Preußens wurde „Heil dir im Siegerkranz" zum patriotischen Volks- und Vaterlandslied umgedeutet und diente der Huldigung der Monarchen. Regel erhielt den Konpositionsauftrag von seinem Londoner Verleger, welches die Nähe des Stücks zum victorianischen Zeitalter zeigt.
Der Organist wusste die verschiedenen Facetten des Stücks eindrucksvoll und sicher im Übergang vorzutragen. Mal lyrisch, mal erhaben und selbstbewusst, mal eingewoben in die unterschiedlichsten Harmoniefärbungen, mal als Fuge kommt die Melodie daher und Freitag verstand es mit höchster Bravour, das Stück über knapp neun Minuten nicht ansatzweise auseinanderbrechen zu lassen und es als eine einheitliche gedankliche Phrase zu gestalten und ihm so ästhetischen Ausdruck zu verleihen.
Die Phantasie über „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, ebenfalls von Max Reger, beendete das Konzert. Die mächtige Einleitung, die Sebastian Freitag bewusst hörbar voranstellte, unterscheidet sich markant von den teils lyrischen Passagen des Chorals. Die Verschmelzung von Fugenthema und Choralmelodie gelang dem Organisten so differenziert, dass beides jederzeit mit Ohren mitzuverfolgen war.
Die moderne Orgel - Krahforst und Distler
Die beiden Regerwerke waren eingebettet in modernere Werke der Komponisten Gereon Krahforst und Hugo Distler. Die bei Krahforst immer wieder gegenläufigen Rhythmen, schnellen Rhythmuswechsel und Vorschlagläufe trug Freitag durch höchste Konzentration gekonnt vor. Obwohl „Nun komm, der Heiden Heiland“ sich eigentlich eher für ein Weihnachtskonzert denn für einen Orgelsommer eignet, zeigte Sebastian Freitag einmal mehr, was es heißt, ein Instrument wie die Orgel nicht nur zu beherrschen, sondern ihre Variationen in Klagfarbe und Dynamik bewusst zur Geltung zu bringen. Die rhythmisierten Ganztonumspielungen trug er phrasiert und akzentuiert vor.
Musik wird Kunst
Das Publikum belohnte den Organist mit stehenden Ovationen und zeigte ein ausgeprägtes Maß dafür, was es heißt, nicht nur Musik, sondern auch ihre Fähigkeit, sie wahrzunehmen, zur Kunst zu erheben.
Hier gehts zur Bildergalerie
Datenschutzeinstellungen
Mit Hilfe einiger zusätzlicher Dienste können wir mehr Funktionen (z.B. YouTube-Video-Vorschau) anbieten. Sie können Ihre Zustimmung später jederzeit ändern oder zurückziehen.
Datenschutzeinstellungen
Diese Internetseite verwendet notwendige Cookies, um die ordnungsgemäße Funktion sicherzustellen. Jeder Nutzer entscheidet selbst, welche zusätzlichen Dienste genutzt werden sollen. Die Zustimmung kann jederzeit zurückgezogen werden.
Einstellungen
Nachfolgend lassen sich Dienste anpassen, die auf dieser Website angeboten werden. Jeder Dienst kann nach eigenem Ermessen aktiviert oder deaktiviert werden. Mehr Informationen finden sich in der Datenschutzerklärung.