Herford. Am Sonntag, 26.11.2017, gastierte der Wilhelmshavener Kammerchor in der Neuapostolischen Kirche Herford mit einem Programm zum Thema Flucht.
Mirjams Siegesgesang von Franz Schubert, komponiert über einen Text von Grillparzer, stellt schon in seiner Besetzung ein Kuriosum dar. Man würde für eine religiöse Kantate für Solo Sopran und Chor eine Begleitung von Orchester oder Orgel erwarten, stattdessen ist nur eine Klavierbegleitung überliefert. Unter der Leitung von Gerrit Junge wurde in einem straffen Tempo ein emotional kontrastreicher Schubert vorgestellt, ein willkommener Kontrast zu vielen Interpreten die Schubert gerne bedächtig und verhalten zur Aufführung bringen.
Die 45 Sänger des Wilhelmshavener Kammerchors zeigten sich als präzises, intonationssicheres Ensemble, die Sopranistin Tanya Aspelmeier beeindruckte mit ihrer ausdrucksstarken, emotional differenzierten Interpretation des Soloparts. Schuberts selten aufgeführte Komposition zeigte sich voll Überraschungen. Gelegentlich fühlte man sich an Kompositionstraditionen der Vorklassik erinnert, während an anderen Stellen mutig musikalisches Neuland betreten wird. Auch die Motetten aus den Fest- und Gedenksprüchen von Johannes Brahms stellen in ihrer Besetzung eine Besonderheit dar. Mit dieser a-capella Komposition für zwei vierstimmige Chöre verneigt sich Brahms vor einer Tradition, die in der Spätrenaissance ihre Blüte hatte. Den Sängern gelang es, dieses Werk scheinbar schwerelos vorzutragen, harmonische Verschiebungen wurden unmittelbar als emotionales Erlebnis wahrgenommen.
Das Hauptwerk des Programms stellte Karl Jenkins „The armed man“ dar. Diese Messe, die den Opfern des Kosovo Kriegs gewidmet ist, wurde über die Melodie „l'homme armée“ komponiert, über die bereits mehrere Komponisten der Renaissance Messen komponiert haben. Jenkins eigener Kompositionsstil scheint sich hingegen an Vorbildern wie Benjamin Britten zu orientieren, während er selbst in jungen Jahren als Mitglied von Jazzrock Bands wie Nucleus oder Soft Machine Karriere machte. Sein „bewaffneter Mann“ ist jedoch viel mehr als der Versuch eines Rockmusikers sich Anerkennung in der Welt der Klassik zu verschaffen. Seine Musik birgt zahlreiche Überraschungen, die aber niemals ablenken, sondern den Zuhörer zum zentralen Anliegen des Werks hinführen. Besonders beeindruckend war etwa das in scheinbarer Einfachheit a-capella gesungene Agnus Dei, bei dem das gesamte Publikum den Atem anzuhalten schien. Auch an Tanya Aspelmeier stellte Jenkins Komposition ganz andere Ansprüche als der zuvor gesungene Schubert. Bei ihrem Solo „Now the guns have stopped“ gab es weder virtuose Koloraturen noch große melodischen Linien, stattdessen erschien jeder einzelne Ton vielschichtig und emotionsgeladen eingesetzt. Simon Kasper zeigte sich am Klavier als nuancenreicher, sensibler Begleiter, der sich niemals in den Vordergrund drängt.
Dirk Pfau führte durch das Programm, das unter dem Leitmotiv Exodus: Gefangen, Geflohen, Gelitten, Geliebt- zusammengestellt worden war. Alle gehörten Kompositionen waren in Bezug auf historische oder aktuelle Flüchtlingsdramen entstanden. Mit mahnenden Worten erinnerte Pfau daran, dass die aktuelle Flüchtlingssituation keineswegs eine Neuheit, sondern vielmehr eine immer wiederkehrende Herausforderung darstelle, an der wir aber immer wieder gedankenlos zu scheitern drohen.